Stroh statt Öl: Die Folie aus Biokunststoff wurde aus hundertprozentig erneuerbaren Rohstoffen hergestellt.
©Jan-Georg Rosenboom

Chemie Plastik vom Acker

Es gibt längst Kunststoffe, die nicht aus Rohöl hergestellt werden, sondern aus erneuerbaren Rohstoffen. Sie sind ökologisch oft sinnvoller und verfügen sogar über bessere Eigenschaften. Nur mit der industriellen Herstellung hapert es

von Dr. Jan-Georg Rosenboom

„Die Steinzeit ging nicht deshalb zu Ende, weil die Steine ausgingen. Und das Erdöl­zeit­alter wird nicht zu Ende gehen, weil das Erdöl aufgebraucht ist.“ Diese optimistischen Worte stammen ausgerechnet von Scheich Ahmed Zaki Yamani, dem früheren Erd­öl­minister Saudi Arabiens. Er ist über­zeugt, dass wir lange vor dem Verbrauch der Reserven neue, bessere und vor allem auch wirtschaftlich profitable Technologien entwickeln.

Doch noch läuft die globale Wirtschaft mit Öl und dem, was sich daraus machen lässt. Von dem Aller­welts­kunst­stoff PET (Poly­ethylen­terephthalat), aus dem vor allem Textil­fasern und Getränke­flaschen sind, werden jedes Jahr 60 Millionen Tonnen hergestellt – Tendenz steigend. Aus einem Liter Öl lassen sich etwa fünf Plastik­flaschen produzieren.

Kunststoffe sind in unserem Alltag all­gegen­wärtig und es ist kaum vor­stell­bar, dass wir darauf in großem Maß verzichten. Sehr gut vor­stell­bar ist aber, dass in den Kunst­stoffen der Zukunft kein Rohöl mehr steckt. Besonders viel­versprechend ist dabei ein Bio­plastik aus hundert­prozentig erneuer­baren Grund­stoffen. Poly­ethylen­furanoat – oder kurz: PEF – lässt sich beispiels­weise aus zucker­haltigen Abfällen aus der Forst- und Land­wirtschaft herstellen. Es könnte eben jenes PET ersetzen.

Was die Material­eigenschaften betrifft, wäre PEF gegen­über PET übrigens mit­nichten ein Kompromiss. Im Gegenteil: Der PET-Ersatz hat nicht nur die günstigere Kohlen­stoff­bilanz, er ist auch stabiler. PEF-Flaschen sind also dünn­wandiger und leichter. Zugleich sind sie bis zu zehnfach dichter und können so die Kohlen­säure der Cola länger halten und Säfte vor Oxidation schützen. Wegen seiner besseren Eigenschaften könnte PEF zukünftig auch höher­wertige Materialien ersetzen – beispiels­weise in Mehr­schicht-Getränke­verpackungen, welche üblicher­weise schwieriger zu recyclen sind.

Im Labor lassen sich bereits Kunststoffeaus erneuerbaren Quellen herstellen, die über bessere Eigenschaften verfügen als herkömmliche Materialien.
©Peter Fleckenstein
Im Labor lassen sich bereits Kunststoffeaus erneuerbaren Quellen herstellen, die über bessere Eigenschaften verfügen als herkömmliche Materialien.

Kann man die „grüne Flasche“ also bald im Super­markt kaufen? Die Antwort hängt von Polymer-Ingenieuren, aber auch vom Kunden ab. Nach­haltig wollen viele, aber drauf­zahlen die wenigsten. Um PEF gegenüber PET wirtschaftlich konkurrenz­fähig zu machen, spielen die Kosten bei der Herstellung des Kunst­stoffs eine wesentliche Rolle. Wir haben uns zwei Prozesse genauer angeschaut.

Der eine gleicht dem der PET-Herstellung. Dabei reagieren zwei „Monomere“: eine Säure und ein Alkohol. Im Fall von PEF können diese Grund­stoffe voll­ständig aus Bio­masse hergestellt werden. Was passiert dabei genau? Alle Säure- und Alkohol-Moleküle reagieren im Laufe der Zeit mit­einander. Es entsteht eine ketten­förmige Struktur, das Polymer. Bei jeder Reaktion von Säure und Alkohol wird ein Wasser-Molekül frei, das bei hohen Temperaturen aus dem Reaktor entfernt werden muss.

Je länger dieser Prozess läuft, umso länger werden auch diese Molekül­ketten. Und desto besser sind am Ende die Eigen­schaften des Kunst­stoffs. Aller­dings lässt sich das dabei frei­gesetzte Wasser immer schwieriger abtrennen. Denn die Ketten bilden ein immer dichteres Netz­werk, sodass die Masse honigzäh und schließlich fest wird.

Diese Art der PEF-Herstellung ist auf­grund relativ langer Reaktions­zeit bei hohen Temperaturen sehr energie­intensiv. Außer­dem lassen sich dabei unerwünschte Neben­reaktionen und Verfärbungen des Produktes nur schwerlich vermeiden. Wir haben daher einen neu­artigen Prozess entwickelt, mit dem sich PEF in industriellem Maß­stab produzieren ließe. Der basiert auf der so genannten Ring-Öffnungs-Poly­merisation und enthält einen weiteren Schritt. Der Trick: Wir lassen die Monomere nicht direkt zu PEF reagieren, sondern bauen zunächst aus den Monomeren ring­förmige Moleküle.

Die Heraus­forderung liegt in der Produktion von Bioplastik in industriellem Maßstab.
©Peter Fleckenstein
Die Heraus­forderung liegt in der Produktion von Bioplastik in industriellem Maßstab.

Weil dies in einem Lösungs­mittel geschieht, lässt sich das dabei entstehende Wasser viel leichter ab­destillieren. Inner­halb von nur vier Stunden konnten wir mehr als 95 Prozent der Monomere zu Ringen umsetzen – das ist ein wichtiger Durch­bruch in Richtung industrieller Umsetzung.

Im zweiten Schritt, der eigentlichen Poly­merisierung der Ringe zu PEF, entsteht nun kein Wasser mehr. Tatsächlich sind wir sogar in der Lage, durch gezielte Zugabe von geringen Wasser- oder Alkohol­mengen die Länge der Molekül­ketten genau zu definieren. Die Eigen­schaften des fertigen Produkts lassen sich somit präzise steuern: Soll der Kunst­stoff später zu Textilien verarbeitet werden, sollten die Ketten nur rund 100 Monomere lang sein, während Getränke­flaschen aus etwa doppelt so langen Ketten bestehen.

Und: Weil bei der eigentlichen Poly­merisation nun kein Wasser mehr entsteht, ist der Herstellungs­prozess viel schneller. Nach unzähligen Versuchen und Rück­schlägen verstanden wir endlich, wie sich die recht wider­spenstigen Ringe verhalten – und können nun in weniger als einer halben Stunde hoch­wertiges, lang­kettiges PEF herstellen. Im Rahmen des herkömmlichen Verfahrens hätten wir dafür mehrere Tage benötigt. Mit der schnellen Synthese können wir im Übrigen auch jene Verfärbungen vermeiden.

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Nun garantiert der Erfolg im Labor aller­dings noch lange nicht den Erfolg in der Fabrik. Was im Glas­kolben bestens funktioniert, kann in den Anlagen einer Fabrik große Probleme bereiten. Simple Vorgänge wie Rühren, Heizen und Filtern werden in tonnen­schweren Reaktoren zu technischen Heraus­forderungen. Im nächsten Schritt galt es deshalb, das Verfahren in der echten Welt zu testen. Nachdem wir den Labor­prozess an die Gegeben­heiten einer groß­technischen Anlage angepasst hatten, erreichten wir in den Stahl­reaktoren eines Industrie­partners tatsächlich die gleichen hohen Umsätze wie im Labor.

Die Unter­suchungen der ersten Produkte bestätigten unsere Erwartungen: Unser PEF aus erneuer­baren Quellen ist auf­grund seiner Molekül­struktur viel stabiler und dichter als PET. Jetzt wird es darum gehen, den Prozess für eine reguläre Flaschen­produktion zu optimieren.

Auch wenn PEF gänzlich aus erneuerbaren Roh­stoffen besteht, also nach­haltiger produziert werden kann: Am Müll­problem wird der Bio­kunst­stoff zunächst nicht viel ändern. Denn PEF ist, so wie PET, aufgrund seiner robusten Material­eigen­schaften nicht biologisch abbaubar. Damit weniger Plastik­abfälle in der Umwelt landen, sollte zum einen schlicht­weg weniger verbraucht werden. Und das ist vor allem eine Frage des geschärften gesell­schaftlichen Bewusst­seins. Gefordert ist eine neue Form der Umwelt­bildung, die ihren Anfang in den Kinder­gärten hat. Zum anderen sind Fort­schritte bei den Herstellungs- und Recycling­techno­logien nötig – vor allem in den ärmeren Regionen der Erde.

Glas oder Plastik? Falsche Frage

Warum wir jeder Flasche ein möglichst langes Leben wünschen müssen

Die gute Nachricht: Der Anteil der Mehr­weg­flaschen scheint auf dem Getränke­markt seit einigen Jahren nicht weiter zu sinken. Die schlechte: Heute wird nur noch jeder fünfte Soft­drink in Mehr­weg­flaschen ab­gefüllt. Knapp 80 Prozent gehen hin­gegen in Ein­weg­flaschen über den Laden­tisch. Und die sind ökologische Sünden­fälle. Ob aus Glas oder Plastik macht dabei in der Gesamt­bilanz kaum einen Unter­schied.

Denn im Hinblick auf Umwelt­schutz und Ressourcen­schonung ist die Lebens­dauer entscheidend: Glas­flaschen lassen sich etwa fünfzig Mal wieder­befüllen – doppelt so oft wie im Fall der PET-Mehr­weg­flasche. Aller­dings sind diese leichter. Bei lokalem Recycling liegt Glas vorn, bei weiteren Trans­port­wegen weist die leichte PET-Flasche die bessere Bilanz auf. Berücksichtigt man bei diesem Vergleich aller­dings auch Flaschen aus dem neuartigen Bio­kunst­stoff PEF, schneidet die Konkurrenz aus Glas und PET hingegen deutlich schlechter ab.

So berechneten Forscher um Martin Patel von der Utrecht University, dass der Lebens­zyklus einer PEF-Flasche von der Herstellung bis zur Verbrennung den Aus­stoß von Treib­haus­gasen um die Hälfte niedriger reduziert, verglichen mit einer PET-Flasche. Weitere Vorteile: PEF ist gasdichter und leichter als PET.

Doch diese Vorteile kann PEF bisher nicht ausspielen. Der Markt­anteil aller Bio­kunst­stoffe liegt in der Europäischen Union derzeit bei unter zwei Prozent. Sobald sich diese groß­industriell herstellen lassen, könnte sich das jedoch rasch ändern.

Von Joachim Schüring

Warum wir jeder Flasche ein möglichst langes Leben wünschen müssen
©GfK Consumer Panel, 2018
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