Geowissenschaften Als Chemnitz am Äquator lag
Unter der Stadt in Sachsen stießen Forschende auf einen fossilen Wald aus der Zeit des Perms, konserviert unter meterdicker Vulkanasche. Er gibt Einblicke in das tropische Leben der Region vor 291 Millionen Jahren – sogar von der Aktivität der Sonne in jener Zeit
Riesige Farne und 20 Meter hohe Schachtelhalme bedecken das Land. Leguanähnliche Kreaturen huschen durch die Baumkronen, unter denen sich die schwülwarme Luft des Waldes staut, ein zwei Meter langer Tausendfüßer rasselt geräuschvoll durchs Unterholz. Ab und zu trägt der Wind feine Aschewolken eines nahen Vulkans heran. Willkommen in der Welt des Perms. So oder so ähnlich hätte man die Gegend um Chemnitz erlebt, wenn man sie vor rund 291 Millionen Jahren besucht hätte.
Heute liegen die Überreste dieser Welt unter Straßen, Häusern und Plätzen – konserviert infolge eines verheerenden Vulkanausbruchs, der das tropische Paradies in kurzer Zeit mit Asche bedeckte. Ganz ähnlich wie Pompeji, die antike Stadt am Fuße des Vesuvs, die im Jahr 79 n. Chr. samt ihrer Einwohner innerhalb von Stunden unter meterhohen Ascheschichten lebendig begraben wurde. Eine tragische Katastrophe, die es heutigen Archäologen erlaubt, das Leben in der einst florierenden Siedlung bis ins kleinste Detail rekonstruieren zu können. Kein Wunder also, wenn Chemnitz für Paläontologen das „Pompeji des Perms“ ist.
Erforscht wird der Versteinerte Wald schon seit mehr als 250 Jahren. Doch erst seit zehn Jahren wird er mit Unterstützung der VolkswagenStiftung, des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter wissenschaftlicher Leitung des Chemnitzer Museums für Naturkunde ausgegraben.
Es begann mit einer sechs Meter tiefen Grube so groß wie ein Basketballfeld, die den Blick freigab auf mehr als fünfzig versteinerte Baumstämme, noch aufrecht an ihrem einstigen Wuchsort stehend und mit ihren Wurzeln verankert im ehemaligen Waldboden. So, als hätten die Zerfallsgesetze der Zeit hier kaum ihre Wirkung entfalten können. Hunderte Kisten voller Fossilien wurden damals geborgen. Sie sind Puzzleteile eines nahezu vollständig erhaltenen Ökosystems. Neben den Überresten unzähliger Pflanzen fanden sich auch versteinerte Schnecken, Skorpione, Spinnen, Tausendfüßer, merkwürdige Amphibien und Synapsiden, reptilienartige frühe Vorfahren der heutigen Säugetiere, die in den Bäumen lebten. Wer sich mit diesen Zeugnissen der Vergangenheit beschäftigt, kann viel erfahren – über die Lebensweise der Pflanzen und Tiere, die Klimaverhältnisse jener Zeit, die Bedeutung des Waldes in der Landschaft und was ihn von den heutigen Wäldern unterscheidet.
Eine zentrale Rolle spielte hierbei der ehemalige Waldboden. Als Produkt der klimagesteuerten Verwitterung enthält dieser Paläoboden wertvolle Informationen zu den einst herrschenden Umweltbedingungen. Diese sind beispielsweise in Karbonaten und Eisenoxiden gespeichert, die während der Bodenbildung entstanden und Auskunft über jahreszeitliche Schwankungen von Niederschlägen oder Temperaturen geben. So gelang der Nachweis eines saisonalen Klimas, in dem sich jährliche Trocken- und Regenzeiten abwechselten, ähnlich wie in den heutigen Subtropen. Tatsächlich lag Chemnitz damals unweit des Äquators.
Weiterhin zeigte der Paläoboden Färbungen und Strukturen, die auf einen hohen Grundwasserspiegel hinweisen. So lässt sich erklären, warum die tropischen Baumfarne, Schachtelhalme und Ahnen der heutigen Nadelbäume die Trockenzeiten überstehen konnten. Der Wald war in der ansonsten eher kargen, steppenähnlichen Landschaft im permischen Mitteleuropa also wie eine sattgrüne Insel des Lebens. Er gedieh an einem günstigen Standort.
Die Verteilung von Natrium, Kalium, Kalzium und Aluminium lässt sogar Rückschlüsse auf die Niederschlagsmengen zu. Demnach fielen in Chemnitz vor 291 Millionen Jahren bis zu 1100 Millimeter Regen pro Jahr (heute sind es etwa 750 Millimeter). Zu Beginn des Perms waren die Niederschlagsraten also mit denen in heutigen subtropischen Regionen Afrikas vergleichbar.
Als besonders wertvoll erwiesen sich auch die „Kieselhölzer“, die die Menschen schon im 18. Jahrhundert begeisterten. Sie sehen noch immer aus wie Holz, sind aber steinhart. Als „Launen der Natur“ wurden sie zu Schmuck verarbeitet. Uns lieferten sie unter dem Mikroskop Einblicke in die bis ins Detail erhaltenen zellulären Strukturen. Auf diese Weise konnten wir anhand der Jahresringe den jahreszeitlichen Wechsel von Trocken- und Regenzeiten nachvollziehen.
Zur Dechiffrierung dieses hochaufgelösten Klimaarchivs bedienten wir uns der Methoden aus der Dendrochronologie und Dendroökologie. So konnten wir das fossile Ökosystem in seiner dreidimensionalen Erhaltung auch in seiner vierten Dimension, der Zeit, erforschen. Wesentliche Voraussetzung dafür war die rasche Konservierung durch Vulkanasche, die uns garantierte, dass alle Bäume im Wald zeitgleich zugrunde gingen und somit in der Zeit davor denselben Umwelteinflüssen ausgesetzt waren. Noch nie zuvor wurden derart umfangreiche dendrochronologische Studien an fossilem Holz des Erdaltertums durchgeführt.
In den ältesten Bäumen im Versteinerten Wald reichen die Aufzeichnungen bis zu 80 Jahre vor dem Vulkanausbruch zurück. Darin entzifferten wir beispielsweise langanhaltende Dürreperioden. Typische Narben im Holz zeugen zudem von Blitzeinschlägen und Holz verspeisenden Tieren.
Das Spannendste aber war etwas ganz anderes. Bei der Vermessung der Jahresringe fiel nämlich auf, dass diese in verschiedenen Stämmen in regelmäßigen Abständen dünner waren als in der Zeit dazwischen. Das heißt, in diesen Zeitabständen war es damals trockener als üblich. Diese dünneren Ringe fanden sich im Schnitt alle 10,6 Jahre. Aus der heutigen Zeit kennen wir nur ein Phänomen, das diese Periode besitzt: der 11-jährige Zyklus der Sonnenaktivität, die unter anderem durch das regelmäßige Aufflackern der Sonnenflecken gekennzeichnet ist.
Dies ist beeindruckend, weil der Zyklus der Sonnenaktivität offenbar seit mindestens 300 Millionen Jahren konstant zu sein scheint. Nachweise dieser Art sind in den Klimaarchiven der Erde sehr selten und daher besonders wertvoll. Das älteste Archiv, in dem der 11-jährige Zyklus gefunden wurde, ist ein über eine Milliarde Jahre altes Gestein aus dem heutigen Schottland. Darin erhalten ist die jahreszeitliche Schichtung von Sedimenten in einem damals existierenden See. Diese können genau wie die Jahresringe eines Baumes vermessen und ausgewertet werden.
Dass es so selten gelingt, den 11-jährigen Sonnenzyklus nachzuweisen, liegt daran, dass die durch die erhöhte Sonnenaktivität verursachten Klimaschwankungen extrem gering sind, für uns Menschen sind sie zwar mess-, aber nicht wahrnehmbar. Damit er in Bäumen archiviert wird, müssen spezielle Bedingungen erfüllt sein. Insbesondere müssen bereits kleine Schwankungen der jährlichen Niederschlagsmengen das Wachstum beeinflussen. Das passiert nur, wenn der Boden sehr wasserdurchlässig ist, sodass die Bäume schon nach kurzer Zeit unter Trockenstress geraten, der sich seinerseits in entsprechend schmaleren Jahresringen bemerkbar macht.
Doch von all dem wissen die meisten Bewohner und Besucher von Chemnitz nichts, wenn sie nur wenige Meter über dem Versteinerten Wald durch die Fußgängerzonen flanieren. Schade eigentlich.
Welt in Bewegung
Woher weiß man eigentlich, wo Chemnitz vor rund 290 Millionen Jahren lag?
Seit Beginn des Perms hat Chemnitz mehrere Tausend Kilometer zurückgelegt. Damals lag die Region noch südlich des 15. Breitengrades – so wie heute Caracas oder Manila. Ein Blick auf die Karte jener Zeit offenbart, dass die Erde eher schlicht gegliedert war, in den Superkontinent Pangaea sowie die großen Ozeane Palaeotethys und Panthalassa.
Es gibt viele solche paläogeografischen Karten, die die Entwicklung der Ozeane und Kontinente im Lauf der Erdgeschichte zeigen. Im Daumenkino offenbaren sie, wie die Kontinentalplatten, angetrieben von konvektiven Umwälzungen im heißen Erdmantel, in Hunderten von Millionen Jahren über die Erdoberfläche treiben, sich vereinen und wieder trennen.
Den Karten liegen unzählige Daten von Paläontologen, Mineralogen, Tektonikern und Geophysikern zugrunde. Manche Zusammenhänge erkennen auch Laien auf den ersten Blick. So zeugt die Ähnlichkeit der afrikanischen West- und der südamerikanischen Ostküste davon, dass diese Kontinente einst wie Puzzleteile miteinander verbunden waren. Die Gesteine auf beiden Seiten des Südatlantiks belegen das: Sie entstanden zur selben Zeit am selben Ort.
Sedimentgesteine geben Auskunft über Klimaverhältnisse und ob sie an Land oder unter Wasser abgelagert wurden, Fossilien erlauben die Rekonstruktion ganzer Lebensräume sowie, neben radiometrischen Methoden, die Bestimmung des Alters. Von besonderer Bedeutung ist das irdische Magnetfeld, das beim Erstarren bestimmter Minerale konserviert wird. Misst man die Stärke und Richtung der Magnetisierung, lässt sich daraus die geografische Breite bestimmen.
Von Joachim Schüring