Christian Mathis nach erfolgreicher Arbeit
©Robert Huber

Chemie Der Knorpel im Hydraulikzylinder

Die Knorpel in unseren Gelenken gewährleisten dank eines ausgeklügelten Schmiermechanismus die leichte und schmerzfreie Bewegung. Seit langem ­versuchen Forscher, dieses Wundermaterial im Labor nachzubauen – so auch Chemiker Christian Mathis.

von Dr. Christian Mathis

Das ist Menschen und Maschinen gemein: Sie nutzen ab. Arthrose etwa, die Degenerierung der Knorpel in den Gelenken, ist eine typische Alterserscheinung, wenngleich sie auch schon bei jungen Patienten auftreten kann. Betroffene leiden bei jeder Bewegung unter Schmerzen, und es gibt trotz intensiver Forschung noch immer kein Mittel gegen diese degenerative Erkrankung. Für das natürliche Knorpelgewebe existiert bis heute kein gleichwertiger künstlicher Ersatz. Die Suche danach ist aber nicht nur aus medizinischer Sicht spannend. Da nämlich kein Schmiersystem der Welt so langzeitbeständig und effizient ist wie das unserer Gelenke, ist es auch für die Industrie von großem Interesse.

Knorpel ist eine biologisch und mechanisch höchst komplexe Substanz. Die Natur hat dieses biegsame und druckelastische Material in Millionen Jahre dauernder Evolution optimiert. Wir Menschen tüfteln immerhin seit knapp 300 Jahren an einem Ersatz. So schrieb der schottische Anatom William Hunter in seiner 1743 erschienenen Abhandlung „Zur Struktur und Erkrankung von ­Knorpel“ über die Folgen entzündeter Gelenke – und dass sich einmal zerstörte ­Knorpel nicht regenerieren. Der Grund: Das Gewebe enthält keine Blutgefäße und wird vom Körper vergleichsweise schlecht versorgt.

Knorpel enthalten Millionstel von Millimeter kleinen bürstenartigen Strukturen, die Flüssigkeit speichern.

Christian Mathis

Heute wissen wir über die Zusammensetzung der Knorpelsubstanz fast alles. Sehr kleine aber besonders wichtige Bausteine sind die sogenannten Proteoglykane – Millionstel von Millimeter kleinen bürstenartigen Strukturen, die zwischen ihren Borsten Flüssigkeit speichern. Diese Strukturen dämpfen die auf den Knorpel wirkenden Kräfte. Wir sind bereits in der Lage, Strukturen wie jene Proteoglykane künstlich im Labor nachzubilden. Diese Polymerbürsten, wie wir sie nennen, können an Oberflächen von Bauteilen verankert werden, geeignete Flüssigkeiten aufnehmen und in sich speichern. Dabei sind bestimmte physikalische Eigenschaften der künstlichen Bürsten denen der natürlichen Proteoglykane sehr ähnlich. Beide erzeugen eine gleitfähige Oberfläche und gewährleisten so eine einzigartige Langzeitschmierung.

Im Rahmen meiner Dissertation erforschte ich die Schmiermechanismen dieser künstlichen Polymerbürsten, die hoffentlich eines Tages die Schmerzen von Arthrosepatienten lindern, aber auch den Verschleiß von Maschinenteilen reduzieren können. Dabei galt es zunächst, die Vorgänge während der Flüssigkeitsaufnahme dieser bürstenartigen Materialien zu verstehen. Hierfür entwickelte ich zusammen mit den beiden Chemikern Vikrant Naik von der Abteilung Strukturbildung des Leibniz Instituts für neue Materialien in Saarbrücken und Mohammad Divandari vom Department of Materials der ETH Zürich eine Vorrichtung, mit der sich verschiedene Flüssigkeiten über die Polymerbürsten leiten lassen. Beo­bachtet haben wir das mittels In­fra­rotspektroskopie: Werden nämlich ­verschiedene Flüssigkeiten von den Borsten aufgesogen oder abgestoßen, verändert sich je nach ihrer chemischen Zu­sammensetzung die Intensität des Lichtspektrums. So fanden wir heraus, wie diese Flüssigkeiten chemisch beschaffen sein müssen, damit sie von den Bürsten optimal aufgenommen werden.

Nun ging es darum, die physikalischen Eigenschaften der vollgesogenen Bürsten zu untersuchen. Ich benutzte dazu ein sogenanntes Rasterkraftmikroskop. Dieses kann man sich wie einen winzigen Tastfinger vorstellen, der unterschied­­lich schnell auf die Oberfläche des Materials tippt, die Festigkeit des Untergrunds misst und uns auf diese Weise ­Informationen über dessen Dämpfungs­eigenschaften liefert. Diese Tastversuche erlauben es, die Eigenschaften künstlicher Polymerbürsten unterschiedlicher Borstendichte mit denen natürlicher Strukturen zu vergleichen.

Uns geht es vor allem um die Entwicklung künstlicher Gelenkknorpel.

Christian Mathis

Die wichtigste Erkenntnis war, dass die mechanischen Eigenschaften durch das Zusammenspiel der Polymerbürste und der eingeschlossenen Flüssigkeit geprägt sind. Der Physiker Rok Simič vom Department of Materials der ETH Zürich, der als Postdoktorand das Projekt betreut, erläutert: „Je dichter die Bürste gepackt ist, desto schwieriger ist der Strom von Flüssigkeiten. Auch die Viskosität der Flüssigkeit spielt dabei eine Rolle.“ Es musste also eine passende Kombination von Bürsten- und Flüssigkeitseigenschaften ermittelt werden, um die Langzeitschmierung zwischen zwei Oberflächen zu optimieren.

Reibungsversuche führte schon Leonardo da Vinci vor mehr als 500 Jahren durch. So, wie er eine Kiste über den Boden schob und erkannte, dass er mit zunehmendem Gewicht mehr Kraft benötigte, ermittelten wir die Reibung einer von Polymerbürsten überzogenen Oberfläche in verschieden zusammengesetzten Flüssigkeiten. Dazu drückten wir eine zwei Millimeter große Kugel mit unterschiedlich starker Kraft gegen die geschmierte Fläche. Die Kraft, die wir aufwenden mussten, gab Aufschluss über die Gleiteigenschaften.

Christian Mathis lachend
©Robert Huber

Dabei zeigte sich, dass der Grad der Reibung von der Geschwindigkeit abhängt, mit der die Flüssigkeit aus den Bürsten herausgedrückt wird. Im optimalen Fall rutscht die Kugel konstant auf einem Flüssigkeitsfilm. Wird die Flüssigkeit zu schnell aus der Bürste gedrückt, steigen die Reibungskräfte hingegen stark an. Um eine optimale Langzeitschmierung zu erreichen, müssen also die Parameter Druck, Bürstenstruktur und Beschaffenheit der Flüssigkeit aufeinander abgestimmt sein.

In unserem von der ETH Foundation und dem Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderten Projekt geht es vor allem um die Entwicklung künstlicher Ersatzmaterialien für Gelenkknorpel. Darüber hinaus ist unser Know-how aber schon heute für die Industrie von Interesse. Dort erhofft man sich neue Möglichkeiten der Schmierung, die die Abnutzung von Kolben in Motoren oder hydraulischen Zylindern vermindert. Bis sich hier aber Bürstenschmierungen nach dem Vorbild natürlicher Knorpel durchsetzen, müssen wir es schaffen, die Hürde vom Labor in die Massenfertigung zu nehmen. Die Bürsten müssen also in großen Mengen produziert werden können, mit herkömmlichen Flüssigkeiten funktionieren und langlebig sein.

Zusammen mit der Züricher SuSoS AG konnten wir bereits mithilfe einer industriellen Beschichtungsanlage diverse Oberflächen mit diesen Polymerbürsten versehen – darunter auch den Stahl von Hydraulikzylindern, die besonders starker Abnutzung ausgesetzt sind. Wir testeten dabei verschiedene, heute schon verwendete Schmiermittel und fanden für die Hydraulikzylinder bereits die passende Kombination aus Bürsten und Schmiermittel. Tatsächlich ist der Reibungskoeffizient der beschichteten im Vergleich zu dem herkömmlicher Zylinder um den Faktor 10 verringert.

Hintergrund

Patente Natur

Otto Lilienthal flog (nicht ganz) wie ein Vogel, der Schweizer Ingenieur Georges de Mestral klaubte Kletten aus dem Fell seines Hundes – und erfand den Klettverschluss, der Bonner Botaniker Wilhelm Barthlott kam dem Lotuseffekt auf die Spur: Die Natur zeigt, wie es geht, die Bioniker bauen es nach.

von Joachim Schüring

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