Unterwasservulkan
©Alamy

Geowissenschaften Feuerberge auf dem Meeresgrund

Die meisten Vulkane befinden sich im Meer und sind deshalb nur schwer zu unter­suchen. Wie können wir dennoch die Entwicklungs­geschichte und das Gefährdungs­potenzial ­dieser Feuerberge erforschen? Eine Reise nach Santorini

von Dr. Jonas Preine

Weiße Häuser, blaue Dächer und ein atem­beraubender Blick auf die Ägäis: Die Insel Santorini, nördlich von Kreta gelegen, ist für viele ein Traum­reise­ziel. Jedes Jahr zieht es zwei Millionen Tourist:innen auf das Archipel. Was nur wenige wissen: Santorini war Schau­platz eine der größten Natur­katastrophen in historischer Zeit.

Vor etwa 3600 Jahren, in der späten Bronzezeit, brach dort auf dem Meeres­grund eine Vulkan­insel aus. Gigantische Mengen Asche verdunkelten den griechischen Himmel, glutheiße Ströme aus Asche und Gas strömten über die Insel und ins Meer. Tsunamis über­fluteten die Küsten der Ägäis und erreichten die Küste Kretas, wo sich Knossos befand – das Zentrum der minoischen Kultur. Sie wurde derart geschwächt, dass sie nur wenige Jahr­zehnte später zugrunde ging.

Die Folgen eines solchen Vulkan­aus­bruchs wären in dem heute dicht besiedelten Mittel­meer­raum kaum aus­zu­denken. Doch wie groß ist die Gefahr, die von Santorini ausgeht? Und gibt es unter der Meeres­ober­fläche womöglich noch weitere Vulkane? Das sind Fragen, die uns im Folgenden beschäftigen.

Trotz ihrer teils verheerenden Ausbrüche ist das Gefährdungs­potenzial mariner Vulkane weltweit wenig erforscht. Der über­raschende Ausbruch des pazifischen Vulkans Hunga Tonga-Hunga Ha’apai im Frühjahr 2022, dessen Schock­wellen mehrfach die Erde umkreisten, hat deutlich gemacht, wie unvorbereitet die Menschheit auf Eruptionen dieser Art ist. Da verlässliche Vorhersagen von Vulkan­ausbrüchen auch in ferner Zukunft nicht möglich sein werden, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir die Geschichte der Vulkane am Meeresboden besser verstehen, um mögliche Auslöser und Auswirkungen besser zu erfassen. Und das ist aufgrund ihrer Lage natürlich schwierig.

Zurück von der Expedition ins Mittelmeer, wo Jonas ­Preine an Bord der „FS POSEIDON“ das vulkanische Santorini-­Archipel erkundete
©Annette Mueck
Zurück von der Expedition ins Mittelmeer, wo Jonas ­Preine an Bord der „FS POSEIDON“ das vulkanische Santorini-­Archipel erkundete

Zusammen mit Kolleg:innen vom GEOMAR in Kiel und von der Universität Athen gingen wir 2019 an Bord des Forschungs­schiffes „FS POSEIDON“. Und zwar, um seismische Messungen entlang des Vulkan­feldes von Santorini durchzuführen. Seismik ähnelt dem Prinzip medizinischer Ultra­schall­untersuchungen. In ­regelmäßigen Abständen schickten wir Schall­­impulse in den Untergrund und maßen die Lauf­zeiten von Reflexionen an Grenz­flächen der verschiedenen Erdschichten. Auf diese Weise erstellten wir ein strukturelles Abbild des Untergrunds und erkannten Strukturen von mehreren Dutzenden bis Hunderten von Metern Größe. Es erlaubte uns, gewissermaßen in Vulkane hinein­zu­schauen und so deren Aufbau zu erforschen.

Nach einem Monat kontinuierlicher Messungen kehrten wir mit einem großen Daten­schatz zurück. Im Rahmen unserer Arbeit erstellten wir zusammen mit Daten früherer Expeditionen der Universität Hamburg Querschnitts­bilder des Meeresbodens und der darunter­liegenden geologischen Schichten. Gemeinsam mit einem inter­nationalen Team konnten wir die ereignis­reiche Entstehungs­geschichte des Vulkanfeldes von Santorini rekonstruieren – und machten eine Reihe über­raschender Entdeckungen.

So entdeckten wir unter dem Meeresboden um Santorini einige bisher unbekannte Vulkane. Ähnlich wie bei den Spitzen von Eisbergen ragt auch bei untermeerischen Vulkanen oft nur ein kleiner Teil über den Meeres­boden hinaus. Liegt die Entstehung eines Vulkans schon lange zurück, kann er längst vollständig unter Sedimenten verborgen sein. Mit unseren seismischen Daten konnten wir jedoch einige davon sichtbar machen. Den größten dieser Feuerberge nannten wir zu Ehren unseres ­Forschungs­schiffes „Poseidon Vulkan“. Er war vor etwa einer Million Jahren aktiv und hat große ­Mengen Bimsstein und Asche ausgestoßen. Im Fall des eingangs erwähnten Santorini konnten wir nachweisen, dass er vor über zwei Millionen Jahren aktiv wurde. Aus einzelnen, eher kleinen vulkanischen Zentren reifte schließlich vor rund 300.000 Jahren ein Vulkan heran, der heute das ­Santorini-Archipel bildet. Seitdem konzentriert sich hier die vulkanische Aktivität und wurde im Laufe der Zeit immer explosiver. Heute wissen wir von über zweihundert Ausbrüchen, wobei der letzte sich im Jahr 1950 ereignete.

Überdies konnten wir zeigen, dass Unter­wasser­­vulkane auch ausbrechen können, wenn Teile ihres Kraters wegbrechen und es infolge­dessen zu einem plötzlichen Druck­abfall in der Magma­kammer unter dem Vulkan kommt. Unsere Daten zeigen, dass solche Katastrophen­kaskaden in der Vergangenheit des Vulkan­feldes von Santorini eine zentrale Rolle gespielt haben. Und: Unter­wasser­vulkane sind nicht nur während einer Explosion gefährlich. Denn wenn ihre steilen Hänge ins Rutschen geraten, kann das gefährliche Tsunamis auslösen. In den einige Dutzende Kilometer weiten und mehrere Hundert Meter tiefen Senken im Meeres­boden um Santorini identifizierten wir mehrere solcher Rutschungen, in denen bis zu hundert Kubik­kilometer Sedimente abgingen.

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Vor allem konnten wir den räumlichen und zeitlichen Zusammenhang von tektonischen Bewegungen in der Erdkruste und den Ausbrüchen von Vulkanen analysieren. Die Erdkruste in der südlichen Ägäis wird durch das Abtauchen der Afrikanischen Platte gedehnt. Dies äußert sich in großen Verwerfungen, die oberhalb der Wasser­ober­fläche als steile Klippen der ägäischen Inseln sichtbar sind, sich aber unter Wasser fortsetzen, wo wir sie in unseren seismischen Profilen sehen können. Unsere Analyse zeigt, dass es Phasen gab, in denen sich große Verwerfungen von mehreren Hundert Metern in einem (geologisch gesehen) kurzen Zeitraum gebildet haben. Diese „tektonischen Pulse“ dauern vermutlich wenige Zehn­tausende Jahre und aktivierten den Vulkanismus von Santorini und seiner Nachbarn. Tektonische Bewegungen haben also einen direkten Einfluss auf das Verhalten der Vulkane der Ägäis.

Vulkanausbrüche, tektonische Verwerfungen und Hang­rutschungen haben sich in der Vergangenheit Santorinis als komplexe Katastrophen­kaskaden gegen­seitig ausgelöst – das zeigen unsere Ergebnisse deutlich. Doch wie lange dauern diese Prozesse?
Wie alt sind die vulkanischen Schichten im Untergrund? Um wie viele Meter senkt sich der Meeres­boden während tektonischer Pulse? Um dies heraus­zu­finden, war Anfang 2023 das internationale Forschungs­bohr­schiff „JOIDES Resolution“ im Rahmen einer Expedition des International Ocean Discovery Program (IODP) in der Ägäis. Die aus den Bohrungen gewonnenen Daten werden uns in Zukunft helfen, diese Fragen zu beantworten.

Wir haben bereits weitere Ausfahrten geplant, um die seismischen Messungen im Hellenischen Insel­bogen und in Indonesien fort­zu­setzen. Auf diese Weise hoffen wir, in Zukunft genauere Daten über den Zusammen­hang von Eruptionen, Katastrophen­kaskaden und tektonischen Schwäche­zonen zu erhalten, die dann die Überwachung und die Früh­warn­systeme von marinen Vulkanen unterstützen. Unsere Daten zeigen zwar nicht, wann genau die nächste Natur­katastrophe statt­finden wird. Aber wir können Zonen identifizieren, die besonders gefährdet sind und die mittels gezielter Über­wachungs­­systeme geschützt werden sollten. Dies ist dringend notwendig, damit der nächste Ausbruch nicht zur Katastrophe wird und Menschen rechtzeitig vor den schlafenden Feuerbergen am Meeres­grund gewarnt werden können.

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Das Jahr ohne Sommer

Als der Tambora explodierte, veränderte er die Welt

Von den furchtbaren Folgen des Santorini-Ausbruchs zeugen heute nur noch die minoischen Ruinen von Akrotiri. Wie viele Menschen damals starben, ist ungewiss. Ein Ausbruch ähn­licher Dimension erschütterte die Welt aber auch im Jahr 1815. Und dessen Folgen sind gut dokumentiert.

Als der indonesische Tambora explodierte, flogen ebenfalls Dutzende Kubik­kilometer Asche und Gestein in die Luft. 1816 folgte das „Jahr ohne Sommer“ – in Deutschland auch das „Jahr Acht­zehn­hundert­under­froren“ genannt.

Der Ausbruch des Tambora forderte im direkten Umfeld wohl über 70.000 Menschen­leben. Doch die feine Asche und die Schwefelgase zogen bald um den ganzen Globus. Die Temperaturen sanken weltweit um rund ein Grad Celsius. Auf der Nord­halb­kugel fiel der Sommer aus, vieler­orts – auch in Deutschland – vernichtete Juli­frost die Ernten. Allein in Europa verhungerten vermutlich weitere 200.000 Menschen. Die Cholera wurde zur Pandemie. Wie viele Menschen am Ende starben, weiß niemand. In Europa begann die erste große Auswanderungs­welle nach Nordamerika, in den USA machten sich die großen Siedlertrecks auf den Weg nach Westen.

Doch die Katastrophe hatte auch ihre hellen Seiten. Als Mary Shelley 1816 wegen des üblen Wetters ihre Schweizer Ferien­unterkunft kaum verlassen konnte, schrieb sie ihren Roman „Franken­stein“. Die aufgrund der staub­erfüllten ­Atmosphäre besonders prächtigen Sonnen­unter­gänge jener Zeit inspirierten William Turner, John Constable, Caspar David Friedrich und andere zu ihren berühmten Gemälden. Sogar für das erste Fahrrad soll der Tambora verantwortlich gewesen sein. Denn damals waren so viele Pferde verhungert, dass Karl von Drais angeblich daraufhin die nach ihm benannte Draisine erfand. — J. Schüring

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