Illustration eines Gehirns
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Neurowissenschaften Nachts im Gehirn

Wie wichtig Schlaf ist, spüren wir nach einer durchgemachten Nacht. Er sorgt dafür, dass die Nervenzellen im Gehirn das wichtige Gleichgewicht zwischen Aktivität und Ruhe halten können. Dieser Mechanismus könnte sogar vor Übergewicht schützen

von Dr. Niels Niethard

Jeden Abend, wenn wir uns schlafen legen, geben wir uns der Besinnungs­losig­keit hin und liegen fast wie gelähmt für durch­schnittlich sieben Stunden in unseren Betten. Die Frage, warum wir schlafen, lässt sich am besten beantworten, wenn wir dabei berücksichtigen, was unser Gehirn leistet, wenn wir wach sind. Dann prasseln unaufhörlich Sinnes­eindrücke auf uns ein – zumindest ein Teil der Informationen muss auch noch gespeichert werden.

Das Gedächtnis entsteht infolge der Bildung neuer Synapsen, also neuer Verbindungen zwischen den Neuronen, unseren Nerven­zellen. Neue Synapsen bildeten sich beispiels­weise während der Corona-Pandemie zwischen den Neuronen, die in unserem Gehirn „Maske“ repräsentieren, und den Neuronen, die aktiv sind, wenn wir unser Haus verlassen. Wenn nicht, mussten wir unverrichteter Dinge vom Supermarkt zurück­kehren.

Fände diese Neubildung von Synapsen ununter­brochen statt, erhielten unsere Neuronen zwangs­läufig immer mehr Signale von immer weiteren Neuronen. Darunter würde die Präzision der gespeicherten Informationen dramatisch leiden. Denn der Mythos, wir nutzten nur einen Bruch­teil unserer neuronalen Kapazitäten, ist eben leider nur ein Mythos. Also muss es einen Mechanismus geben, der unsere neuronalen Verschaltungen managt und jene, die nicht mehr nötig sind, wieder entkoppelt. Forschende vermuten seit Längerem, dass dies im Schlaf geschieht. Demnach arbeitet unser Gehirn immer dann, wenn wir keine neue Information bewusst aufnehmen, an dieser Optimierung: Über­schüssige Synapsen werden wieder gelöst und damit die Aktivität der neuronalen Netz­werke normalisiert.

Unser Schlaf gliedert sich in einzelne Phasen. Typischer­weise wechseln wir in 90-minütigen Zyklen vom Tief­schlaf zu Phasen mit schnellen Augen­bewegungen, die diesem Stadium den Namen „rapid eye movement“ (REM)-Schlaf einbrachten. Die Schlaf­stadien unter­scheiden sich auch anhand der Hirn­ströme, die sich im Elektro­enzephalo­gramm (EEG) darstellen lassen. Sie zeigen, dass am Anfang einer Nacht Tiefschlaf, der durch langsame Wellen charakterisiert ist, vorherrscht, wohin­gegen in der zweiten Nacht­hälfte der REM-Schlaf mit seinen schnelleren Wellen überwiegt. Wir wollten wissen, welche Mechanismen die neuronale Aktivität in den einzelnen Schlaf­stadien steuern.

Niels Niethard (links) bespricht ein EEG.
©Ingo Knopf
Niels Niethard (links) bespricht ein EEG. Das Signal wird in Echtzeit ausgewertet. Auf diese Weise können die beiden Forscher den Schlaf zu ganz bestimmten Zeitpunkten mit einem Ton beeinflussen – und auch das Gedächtnis von Versuchspersonen verändern

Im Gehirn gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Neuronen­arten. Uns ging es um die Unterscheidung zwischen jenen Neuronen, die auf andere aktivierend oder hemmend wirken. Aktivierend heißt, sie steigern durch ihre eigene Aktivität die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere Neuronen aktiv werden. Die hemmenden Nerven­zellen hingegen mindern durch ihre eigene Aktivität die Aktivität anderer Zellen. Gerät das Gleich­gewicht dieser beiden Neuronen­typen durch­einander, kann das gravierende Folgen haben und im Falle einer zu hohen Erregbarkeit sogar zu epileptischen Anfällen führen.

Allein anhand der elektrischen Messung ihrer neuronalen Aktivität lassen sich die beiden Neuronen­typen jedoch nicht unterscheiden. Daher veränderten wir Mäuse genetisch so, dass ihre Neuronen grün leuchten – und zwar umso heller, je aktiver sie sind.

Gleichzeitig ermöglichte uns die genetische Veränderung, unter­schiedliche Neuronen­­typen farblich zu markieren. Wir kennzeichneten hemmende Neuronen zusätzlich mit einem roten Farbstoff, um mithilfe eines speziellen Mikroskops zu unterscheiden, ob das grüne Leuchten von einem hemmenden, roten oder aktivierenden Neuron stammte.

Bislang gingen Forschende davon aus, dass die Phase des REM-Schlafs durch eine erhöhte Neuronen­aktivität gekennzeichnet ist – und damit dem Wach­zustand ähnelt. Das brachte diesem Stadium auch den Namen „paradoxer Schlaf“ ein, da die meisten unserer Muskeln – anders als im Wach­zustand – in dieser Phase gelähmt sind. Diese Erkenntnis beruhte jedoch auf elektrischen Messungen. Wir konnten nun mithilfe unserer neuen Methode zeigen, dass die meisten Zellen ihre Aktivität im REM-Schlaf deutlich reduzieren und nur eine relativ kleine Gruppe von Neuronen richtig loslegt. Doch diese Neuronen gehören zur Gruppe der hemmenden Neuronen.

Das bedeutet: Unser Gehirn ist im REM-Schlaf nicht insgesamt aktiver, sondern nur ein kleiner Teil davon – nämlich eine kleine Gruppe von Neuronen, die ihrer­seits die restlichen Neuronen in ihrer Aktivität hemmen. Dieser Befund könnte auch erklären, warum es im REM-Schlaf praktisch nie zu epileptischen Anfällen kommt. Möglicherweise schützt die hohe Aktivität dieser hemmenden Neuronen Menschen mit Epilepsie gegen eine unkontrolliert ausufernde Aktivität im REM-Schlaf.

Im Folgenden verknüpften wir unsere neuen Ergebnisse mit einer der spannendsten Erkenntnisse der Schlaf­forschung. Demnach führt unser Gehirn im Schlaf „Selbst­gespräche“. Dabei reaktivieren die Neuronen, die im Wachsein wichtige Informationen gespeichert haben, diese Informationen im Schlaf wieder und wieder.

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Bestehende Synapsen verstärken sich auf diese Weise, es können sich sogar neue bilden. Dies geschieht vor allem während sogenannter Schlaf­spindeln. Das sind Momente während des Tief­schlafs, die durch ein spezielles, spindel­förmiges Muster elektrischer Gehirn­aktivität charakterisiert sind. Diesem Phänomen verdanken wir auch, dass wir uns Vokabeln besser merken, wenn wir nach dem Lernen geschlafen haben.

Wir nahmen also an, dass die für das Lernen besonders wichtigen Synapsen in der frühen Phase des Schlafs durch wiederholte Aktivierung verstärkt werden müssen, bevor der REM-Schlaf die Aktivität aller Zellen reduziert. Genau das untersuchten wir, indem wir nach Neuronen suchten, die besonders während jener Schlaf­spindeln aktiv waren und deren Aktivität wir dann mit der der restlichen Neuronen verglichen. Tatsächlich zeigte sich, dass nur Neuronen, die während der Schlaf­spindeln aktiv waren, ihre Aktivität über den Tiefschlaf hinweg steigerten – bevor ihre Aktivität genauso wie die der anderen Neuronen während des REM-Schlafs wieder abnahm. Diese Neuronen­gruppe konnte sich so jedoch einen Vorsprung in ihrer Aktivität sichern, der auch lange über die Dauer des REM-Schlafs hinaus noch messbar war. Das könnte einer der grund­legenden Mechanismen dafür sein, dass wir die durch diese Neuronen gespeicherte Information nach dem Schlaf leichter und präziser abrufen können.

Unser Schlaf ist also erstaunlich viel­fältig. Während er einerseits bestimmte Synapsen verstärkt, sorgt er gleich­zeitig dafür, dass die Erregbarkeit unserer Neuronen nicht immer weiter ansteigt und dadurch unsere Gehirn­aktivität aus dem Ruder läuft.

Vielleicht sind wir aber auch noch einem ganz anderen Mechanismus auf die Spur gekommen. Denn wir entdeckten auch Hinweise darauf, dass während des REM-Schlafs die synaptische Über­tragungsrate auch innerhalb der Hirn­regionen herab­gesetzt ist, die für die Regulation unseres Hunger­gefühls wichtig sind. Grundsätzlich könnte also eine schwächere synaptische Über­tragungs­­stärke auch das Hunger­gefühl mindern. Ob sich dieser Zusammenhang wirklich bestätigt, wird sich in Zukunft zeigen. Immerhin könnte er erklären, warum Menschen mehr essen und zunehmen, wenn sie weniger schlafen.

Es bleibt wohl ein Traum

Wir nehmen auch nachts Informationen auf. Das Lernen erspart das nicht

Man stelle sich vor, wir würden uns nachts über Kopfhörer mit Vokabeln berieseln lassen und am nächsten Morgen die Prüfung bestehen. Das wär’s, kein Büffeln mehr, stattdessen: lernen im Schlaf.

Ganz abwegig ist dieser Gedanke gar nicht. 2019 hatte Katharina Henke von der Universität Bern 41 Frauen und Männer in ihr Schlaf­labor eingeladen, ihnen Kopf­hörer aufgesetzt und im Schlaf mit Wörtern beschallt. Dabei handelte es sich um Fantasie­begriffe, denen die Forscherin willkürlich unter­schiedliche Bedeutungen zugeordnet hatte. Eine Versuchsperson etwa hörte „Guga – Vogel“, eine andere hingegen „Guga – Elefant“. Nach dem Aufwachen sollten sie sagen, ob es sich bei „Guga“ um etwas Großes oder etwas Kleines handelt. Das Ganze ähnelte also dem Lernen von Vokabeln.

Nun kam es darauf an, wann die Schlafenden die „Vokabeln“ hörten. Geschah dies in bestimmten Schlaf­phasen, wurden 60 Prozent der Fantasie­wörter richtig zugeordnet. Diese „Up-state“ genannten aktiven Phasen dauern nur eine halbe Sekunde und wechseln sich ab mit Phasen ohne Aktivität („Down-state“). Sie lassen sich mit einem EEG-Gerät leicht identifizieren.

Damit ist gewiss, dass sich das Gedächtnis nicht nur im bewussten, sondern auch im unbewussten Zustand ausbilden kann. Daraus lasse sich aber nicht die Empfehlung ableiten, sich generell nachts mit Informationen berieseln zu lassen, in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibe, sagte Mitautor Marc Züst der Deutschen Presse-Agentur. — JS

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