Eine Erbse im Interview (Illustration)
©Dirk Schmidt

Der etwas andere Klartext „Esst mich!”

Ein Plädoyer der Erbse anlässlich ihrer Ernennung zur Kultur­pflanze des Jahres 2022

von Joachim Schüring (Redenschreiber)

Gibt es Spießigeres als Erbsen­suppe? Typisch deutsch. Wie bei Muttern. Gut allenfalls in der Erinnerung – fand der Spaß in der Kindheit doch eher nach dem Essen statt: „Erbsen, Bohnen und Linsen, Fenster auf und grinsen.” Hahaha. Mein Name steht für Arme­leute­essen. Im Krieg diente ich in Gestalt der beinhart getrockneten Erbswurst als eiserne Ration.

Dabei könnte ich kleines Gemüse mich so stolz recken. Schließlich reicht mein Stamm­baum 10.000 Jahre zurück, ins Land, in dem einst Milch und Honig flossen – und auch Erbsen auf den Tisch kamen. Ich könnte schwärmen, dass Gregor Mendel, der fromme Erbsen­zähler, zum „Urvater der Genetik” wurde, weil er meine Urmütter und -väter immer wieder kreuzte und akribisch notierte, wie sich Blüten und Schoten über Generationen hinweg veränderten. Sogar der legendäre Sonnen­­könig Ludwig XIV. liebte mich und löste mit seiner Begeisterung eine regel­rechte Erbsen­mode aus. Ihn selbst plagte darob oft schlimmes Grimmen im Gedärm – mit Konsequenzen, über die wir hier angesichts der anderswo ausführlich beschriebenen hygienischen Verhältnisse am Versailler Hof stillschweigen wollen.

Ach ja – noblesse oblige –, mittlerweile interessieren sich auch Sterne­köch:innen für mich: „Velouté von Garten­erbsen mit Pata Negra, Kaiser­granat und Butter­milch”. Ich (und die Butter­milch), wir mussten das ja alles erst googlen. Aber klar, ein 100-Euro-Menü soll auch „regional” und „nach­haltig” sein. Im feinen „Figlmüller” in Wien, seit 1905 unumstrittener Tempel der Schnitzel­kunst, schmieden sie gar aus Gelb­erbsen­proteinen, Erbsen­­fasern, Rapsöl, Wasser und dem Vitamin B12 ein veganes Schnitzel, das, so der Geschäfts­führer gegen­über der ZEIT, 99 Prozent der Gäste „positiv überrascht” …

Übrigens: Wusstet ihr, dass bei der Produktion eines einzigen Kalbs­schnitzels locker vier, fünf Kilogramm Kohlen­dioxid frei­gesetzt werden? Beim Erbsen­pendant hingegen nur ein Zehntel davon? Martin Häusling weiß das. Er ist Europa­abgeordneter der Grünen und ein ganz besonderer Erbsen­freund. „Give peas a chance”, hahaha, unter diesem Motto will er die Urwälder Südamerikas schützen. Denn Deutschlands Mäster kaufen ihr Futter­soja ja vor allem in Brasilien, verwandeln also Regenwald in Steaks. Häusling sagt, europäisches Vieh solle europäische Erbsen fressen. Recht hat er!

Und so will ich, die Speiseerbse Pisum sativum, ernannt zur „Kultur­pflanze des Jahres 2022”, hier und heute mit Verve für mich werben: Esst mich! Im Eintopf, als famoses Zartgemüse aus der Dose oder Erbsen­sorbet auf Brombeer­spiegel. Gebt mich eurem Viehzeug. Oder macht Bioplastik aus mir. Und nutzt mich im Kampf gegen steigende Temperaturen! Mein CO2-Fuß­abdruck ist klein, und ich wachse auch auf Böden, auf denen der gengetunten, pestizid­getränkten, regen­wald­feindlichen Sojabohne längst die Blätter welken.

Denkt nur bitte dran: Ich allein kann den Klima­wandel nicht aufhalten. Wenn auch mir zu heiß wird, bleibt euren Landwirt:innen bald nur noch die Kicher­erbse. Und dann, liebe Leute, werden wir alle nichts mehr zum Lachen haben.

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