©Martin Oczipka IGB/HTW Dresden

Geowissenschaften Trügerische Stille

Methan ist ein besonders wirksames Treibhaus­gas. Bisher dachte man, es entstünde nur in sauerstofffreien Umgebungen. Doch im Norden Brandenburgs zeigt sich, dass sich ­Methan auch in den oberen sauerstoffreichen Wasserschichten von Seen bildet

von Dr. Jan Hartmann

Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine ­Furchen, kein Vogel singt […]. Alles still hier.” So beschrieb Theodor Fontane in seinem 1898 erschienenen Roman „Der Stechlin“ den Großen Stechlin­see im Norden Brandenburgs. Fast 120 Jahre später liegt der mit rund 70 Metern tiefste See des Bundes­landes noch genauso da. Nur zieht jetzt, im Juni 2017, doch ein Kahn „seine Furchen“. Er bringt uns zum See­labor mitten im See. Wir, das sind Marco Günthel (Swansea University), Thomas ­Klintzsch (Universität Heidelberg) und ich (ebenfalls Universität Heidelberg). Wir sind Doktoranden und dem Treibhausgas Methan (CH4) auf der Spur.

Methan ist als Treibhausgas bis zu 32-mal wirksamer als Kohlen­dioxid (CO2), gilt aber wegen seiner viel geringeren Konzentration in der Atmosphäre bislang „nur“ als zweit­wichtigstes Treib­haus­gas der Erde. Heute liegt die CH4-Konzentration in der Atmosphäre bis zu 2,5-mal über dem Wert von vor der Indu­s­trialisierung. Mittler­weile ist der Mensch für mehr als die Hälfte der jährlichen Methan­emissionen ­verantwortlich – die Rinder­zucht sowie der Anbau von Reis gehören zu den Haupt­quellen.

Lange gingen Forscherinnen und Forscher davon aus, dass sich Methan nur unter sauer­stoff­freien Bedingungen bilden kann. Zwar zeigten Unter­suchungen in Meeren und Seen immer wieder erhöhte Methan­konzentrationen auch in sauer­stoff­reichen Bereichen, doch erklärte man dieses „Methan-Paradoxon“ stets mit dem Transport des Gases aus entfernteren, sauer­stoff­freien Schichten in die sauer­stoff­reichen Bereiche. In den letzten Jahren häuften sich aber die Hinweise, dass sich auch in den sauer­stoff­reichen Schichten Methan bilden kann. So zeigte ein Team um Frank Keppler vom Max-Planck-Institut für Kern­physik in Heidelberg schon 2006, dass selbst Land­pflanzen das Treib­haus­gas frei­setzen.

Seit einem Jahrzehnt gehören auch sauer­stoff­reiche Seen zu den Methan­quellen – obwohl die Art und Weise, wie das Gas dort entsteht, bis heute weit­gehend unbekannt ist. Neueste Studien lassen eine direkte Produktion durch Phytoplankton, den Photo­synthese treibenden pflanzlichen Organismen im Wasser vermuten. Wir wollten wissen, ob das stimmt – und machten uns auf zum Seelabor im Großen Stechlin­see. Denn auch hier, in den sauer­stoff­reichen Wasser­schichten des Sees, findet sich Methan.

Das Seelabor des Leibniz-Instituts für Gewässer­­ökologie und Binnen­fischerei (IGB) besteht aus einem zentralen großen Becken mit einem Durch­messer von 30 Metern und 24 kleineren Becken von jeweils 9 Metern Durch­messer, die 20 Meter in die Tiefe reichen (siehe Bild). Wir sind nur eines von vielen Teams, die hier mit ihren Experimenten die Auswirkungen des Klima­wandels auf unsere Seen erforschen.

Die verschiedenen Quellen verraten sich durch die Verteilung der unter­schiedlich schweren Kohlen­­stoff­atome im Methan. Diese „Isotope“ – das schwerere 13C und das leichtere 12C – verhalten sich aufgrund ihres sehr geringen Massen­unterschieds in biologischen, chemischen und/oder physikalischen Prozessen unter­schiedlich. Die Bestimmung dieser kleinen Unter­schiede kann somit wertvolle Informationen über die beteiligten Prozesse und Reaktionen liefern. Erste Unter­suchungen deuten nämlich darauf hin, dass das vom Phyto­plankton unter sauer­stoff­­reichen Bedingungen produzierte Methan etwas schwerer ist als das in sauer­stoff­freien Wasser­schichten erzeugte.

©Ingo Knopf
Mit dem Boot voller Wasser­proben geht es vom Seelabor zurück ans Ufer. Nach zwölf Tagen haben Jan Hartmann und seine Kollegen unzählige Daten gesammelt

Wirklich aussagekräftig sind solche Analysen aber erst, wenn sie über längere Zeit kontinuierlich das Geschehen an einem Ort wieder­geben. Solche Mess­reihen gab es bisher allenfalls auf täglicher Basis – wir entwickelten daher eine neue Methode zur kontinuierlichen Messung der Konzentration und der Isotopen­zusammen­setzung von Methan im Wasser: Eine Pumpe fördert aus einer bestimmten Tiefe Wasser zunächst durch einen Filter und leitet es anschließend an einer Membran entlang. Auf der wasser­abgewandten Seite der Membran herrscht ein Unter­druck, sodass die im Wasser gelösten Gase durch die Membran wandern und anschließend zur kontinuierlichen Analyse in ein Messgerät geleitet werden.

Diese Methode bildet nun das Herz­stück unserer Unter­suchungen am Großen Stechlin­see. Mit dem von uns entwickelten Ansatz ist es möglich, über einen Zeit­raum von vier Stunden alle wesentlichen Parameter des Sees zu erfassen. Wir analysieren also nicht nur die Konzentration von Methan sowie das Verhältnis der beiden unterschiedlich schweren Kohlen­stoff­isotope. Neben der Temperatur des Wassers und seinem Sauer­stoff­gehalt ermitteln wir auch die Menge mikroskopisch kleiner Algen, dem Phyto­plankton. Natürlich messen wir auch die Methan­­emission aus dem See in die Atmos­phäre. Zudem nehmen wir Proben für weitere Labor­unter­suchungen.

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Insgesamt untersuchen wir den See über eine Dauer von zwölf Tagen und erhalten so am Ende fast eine Million Daten­punkte – das ist ein in seinem Umfang einzig­artiger Daten­satz, der erstmals die Dynamik von Methan in Seen enthüllt. Er zeigt aber auch auf, wie das Methan im See durch komplexe biologische und physikalische Prozesse beeinflusst wird. Die Konzentration und Isotopen­zu­sammen­setzung von Methan stimmen räumlich und zeitlich sehr gut mit den Vorkommen des Phyto­planktons ­überein. Das heißt: Die Produktion von Methan steht offenbar in direktem Zusammen­hang mit dem Vorkommen der Mikro­organismen in sauer­stoff­reichen Zonen.

Und das bestätigt sich auch in unseren Labor­experimenten, in denen meine Kollegen die Mikro­organismen aus dem Großen Stechlinsee auf ihre Fähigkeit zur direkten Methan­produktion unter sauer­stoff­­reichen Bedingungen unter­suchen. Dafür schließen sie Proben aller wichtigen Phyto­plankton­gruppen in luftdicht verschlossene Gefäße und analysieren die von den planktonischen Organismen frei­gesetzten Gase. Tatsächlich steigt die Methan­konzentration und ändert sich die Isotopen­zusammen­setzung des Methans zu schwereren Werten in den Fläschchen mit zunehmender Inkubations­dauer.

Das ist der eindeutige Nachweis, dass das Phytoplankton im Großen Stechlin­see tatsächlich Methan produzieren kann – unter sauer­stoff­reichen Bedingungen. Und zwar insbesondere in Zeiten hohen Algen­wachstums in der oberen sauer­stoff­reichen Wasser­schicht des Sees. Der Umfang dieser Methan­emissionen ist unseren Messungen zufolge zudem etwa fünfmal höher als bisher für den Stechlin­see vermutet.

Grundsätzlich wird die Methanproduktion in den oberen Wasser­schichten von Seen sowie ihr Anteil an den globalen Methan­emissionen von zahl­reichen Parametern abhängig sein. Dazu gehören Form und Größe der Gewässer, Temperaturen, Nähr­stoff­verfügbarkeit und andere Gegeben­heiten. Wie hoch ihr Beitrag zum atmosphärischen Methan­gehalt ist, lässt sich derzeit nicht zuverlässig sagen. Gewiss ist, dass das Treib­haus­gas von hier aus direkt in die Atmos­phäre entweichen kann – ein Effekt, der sich infolge zu­nehmender Einträge von Nährstoffen, etwa durch die Land- oder Fisch­wirtschaft, zukünftig weiter verstärkt. Da die Klima­erwärmung zu längeren Perioden hoher biologischer Aktivität führt, dürfte dies die Methan­­emissionen von Seen zusätzlich erhöhen.

Das große Sterben

Am Ende des Perm verschwand fast alles ­Leben auf der Erde. Auch wegen des Methans

Der weltweite Ausstoß des Treibhausgases Methan erreichte 2017 einen neuen Höchststand. Wie ein Team um Rob Jackson von der Stanford University berichtet, ist Methan mittlerweile für knapp ein Viertel der globalen Erwärmung verantwortlich. Das in den letzten 20 Jahren jährlich in die ­Atmosphäre freigesetzte Methan hat ein Erwärmungspotenzial, das einer Verdoppelung sämtlicher Treibhausgasemissionen Deutschlands entspricht.

Mehr als die Hälfte der knapp 600 Millionen Tonnen des Gases stammt demnach aus Aktivitäten des Menschen. Hauptquellen sind die Viehzucht und die Verbrennung fossiler Energieträger. Die Emissionen von Rindern und anderen Wiederkäuern seien bei Methan fast so hoch wie die der Brennstoff­industrie, schreiben die Expertinnen und Experten.

Überdies steigt die Gefahr durch die Freisetzung von in Böden gebundenen Methanvorräten. Insbesondere in den arktischen Dauerfrostböden sind riesige Mengen davon gespeichert. Merritt Turetsky von der University of Colorado Boulder und ihr Team fanden Hinweise, dass diese Freisetzung von Methan und auch die von Kohlendioxid vielerorts nicht langsam über Jahrzehnte hinweg erfolgt, sondern teilweise innerhalb weniger Monate oder Jahre.

Auch wenn dieser Effekt weniger als 20 Prozent der Permafrostregionen betrifft, so könnten diese Treibhausgase nach Ansicht der Forscherin die Auswirkungen der Permafrost-Schmelze auf die globale Erwärmung verdoppeln.

Ein Blick in die Erdgeschichte zeigt, welche Folgen eine solche Kaskade von Reaktionen im schlimmsten Fall haben kann. Als vor gut 250 Millio­nen Jahren in Sibirien flächenhaft Vulkane ausbrachen, stiegen ­zunächst infolge der freigesetzten Gase weltweit die ­Temperaturen. Die Meere erwärmten sich, sodass auch große Mengen des in den Schelfsedimenten ge­bundenes Me­thans in die Atmos­phäre gelangten. Am Ende kollabierten die Öko­systeme im Meer und an Land. Über 90 Prozent all jener Arten, die fossile Zeugnisse hinterlassen, waren ausgelöscht.
— JS

Menschen in der Arktis
©Luis Sinco/Kontributor/GettyImages
In der Arktis tauen vielerorts die ­Dauerfrostböden auf. Das dabei entweichende Methan lässt sich, wie hier in Alaska, eindrucksvoll entzünden
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